Digital Natives, Digital Immigrants und Digital Tourists

Als Gruppe, die ein Leben ohne das Internet nicht kennt, sind die Digital Natives im Sinne der digitalen Evolution an der Spitze der „virtuellen Nahrungskette“ anzusiedeln. Digital Immigrants wurden indes zwar nicht in das digitale Leben hineingeboren, eignen sich jedoch fast so erfolgreich wie die Natives die nötigen Kompetenzen an. Der Unterschied zu den „im Sternzeichen Internet Geborenen“  ist, dass jene die Aneignung nicht willentlich als Lernprozess vollziehen müssen, es ist Teil ihrer grundlegenden Sozialisation. Digital Natives sind, augenscheinlich als Paradoxon des Bildes des einsamen Kindes vor dem Computerbildschirm, Meister der Kommunikation.
Die Struktur des Social Webs ist dabei ein Abbild der Kommunikationsfähigkeit, es werden Kontakte aufgenommen und Beziehungen gestaltet, die in ihrer Reichweite und Diversität die Netzwerke der realen Welt oft übertreffen. Dass sich diese Netzwerke jedoch nicht in Beliebigkeit verlieren wird durch die Eigenschaft der Interessenleitung sichergestellt. Gerade Digital Natives sind nicht nur stark interessengeleitet, sie können dank der potentiell zur Verfügung stehenden Datenmengen und der Schaffung von geeigneten Räumen im Social Web in einem Maße zu Experten im Interessengebiet werden, wie sie ein Digital Immigrant niemals erlangen könnte. Denn in der Interaktion im Social Web gibt sich der Nutzer über seine Interessen selbst preis, er kann dies in multimedialer Form tun und situiert und konstituiert somit seine Identität in einem öffentlichen Raum. Identitätskonstruktion neben den gültigen Konventionen der Offline- Gesellschaft ist jedoch ein Entwurf, den Immigrants nicht verinnerlicht haben, konstruiert sich ihre Sozialisation doch hauptsächlich in der direkten Interaktion in der realen Welt.

Diese Unterscheidung zwischen Digital Natives und Digital Immigrants trifft den Kern des Grabens zwischen der digitalen Medienkompetenz der zu bezeichnenden Populationen, erfasst ihn jedoch nicht vollständig: Wie die Unternehmensrealität zeigt, müssen in diesem Cluster weitere Klassifizierungen vorgenommen werden: So möchte ich an dieser Stelle die Begriffe Digital Tourist und Digital Anachronist einführen. Letzterer soll künftig jedoch nicht weiter Beachtung finden, da er sich durch seine totale Abstinenz von jeglichen webbasierten Anwendungen, sei es durch Mangel an Zugängen oder Verweigerung, für eine Betrachtung im Rahmen des Enterprise 2.0 Diskurses nicht eignet. Dies wäre Gegenstand einer Diskussion um die Partizipationslücke, die gleichzeitig eine Diskussion um Bildungschancen und soziale Teilhabe nach sich ziehen würde.
In jüngster Zeit ist die hier verfolgte begriffliche Einteilung zwischen Natives und Immigrants massiver Kritik ausgesetzt, die sich hauptsächlich an einem angeblich diskriminierenden Hintergrund dieser Unterteilung stößt:

„ […] Die Rede von den Immigrants [verrät] […] die hässliche Zusatzabsicht, den Neubürger im Netz als Eindringling zu brandmarken, der dort eigentlich nichts zu suchen hat, wenn nicht gar den Ureinwohnern etwas wegzunehmen droht.“(in Jessen, Jens: Das Netz gehört uns. In: Die ZEIT. Ausgabe 17/10 vom 22. April 2010)

Aufgrund dieser Negativkonnotation ist man, wie jüngst bei der Berliner Social-Media-Konferenz re:publica abermals bekräftigt, zu einer Unterscheidung zwischen Digital Residents und Digital Visitors übergegangen. Diese Unterteilung meint jedoch ebenfalls nichts anderes, als die graduelle Abstufung der Kompetenzen im Umgang mit dem Internet. Es ist also müßig, auf eine politisch korrektere Schreibweise umzusteigen, zumal dem Begriff eines „Besuchers“ das Stigma anhaftet, dass er nur kurz vorbeischaut, ohne sich jedoch mit den „Sitten und Gebräuchen“ des Besuchten wirklich auseinander zu setzen. Immigranten kommen mit der Absicht zu bleiben, Besucher hingegen nicht. Außerdem birgt der Begriff des Immigranten auch die Möglichkeit, dass dieser neue und andere Ideen und Verfahren in den „virtuellen Staat Internet“ mit einbringt.

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